Die Emporen
Die Emporen im nördlichen Seitenschiff und auch an der Westwand der Kirche prägen in besonderer Weise das 1552-1557 entstandene Kirchenschiff von St. Stephani.
Im Westen imponiert zunächst die barocke Ballusterbrüstung der erst spät in schon kurbrandenburgischer Zeit 1692 entstandenen Orgelempore, die sogar die mächtigen westlichen Sandsteinpfeiler der Arkadenbögen umschließt. Trotz ihrer drei musizierenden Engel über einem mit Putten und Fruchtgirlanden reich umrahmten Stadtwappen kann sie es an Bedeutung und Schönheit mit den schlichten Ständerbauten der Holzemporen des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts nicht aufnehmen.
Noch ohne die Brüstungsgemälde, die heute jeden Besucher sofort in ihren Bann ziehen, wurden die Nordempore und Gildenprieche schon 1575, letztere vielleicht sogar noch früher bald nach 1557 als Ratsempore und Sitz der Gilden in das frühprotestantische Kirchenschiff hineingebaut.
Aber schon 1589 erhielten sie die 32 Bilder zum Alten und Neuen Testament, die als frühester, in einer protestantischen Stadtkirche an einer originalen Holzemporen bis heute erhalten gebliebener Bildzyklus kunsthistorisch und kirchenarchäologisch für die Christliche Kunst eine Überlieferung von hohem Rang sind. Malervorlagen waren dafür bis auf einige Ausnahmen 2 illustrierte Lutherbibeln, die mit Holzschnitten von Virgil Solis 1560 in Frankfurt und Tobias Stimmer 1576 in Basel erschienen waren. 1617 kamen an einer südlich an die Orgelbrüstung anschließenden Empore 8 weitere Bilder nach z. T. noch nicht ermittelten Vorlagen zum Neuen Testament hinzu.
An der Gildenprieche schließen sich an: Verkündigung an Maria (So), Geburt/Anbetung der Hirten (So?), Abendmahl (Rese, Dessau), Gethsemane (So), Gefangennahme (So), Verhör durch Pilatus (So), Kreuzigung (So), Grablegung (So), Christus in der Vorhölle (Cranach d. J., Dessau) und Auferstehung (Cranach d. J., Dessau).
(Gysbert van Veen nach Barocci), Anbetung durch die Könige (???), Taufe Christi (???), Flucht nach Ägypten (???), Jesus lehrt im Tempel (???), Taufe Christi (???), Hochzeit zu Kanaa (Sadler nach de Voss) und Sturm auf dem See Genezareth nach Amman.
Unter allen Bildern befinden namentliche Stifterinschriften mit Wappen und oft auch das Sterbedatum. Es handelt an der Nordempore und im südlichen Seitenschiff um Ratsherren mit Angabe ihrer Ämter als Bürgermeister, Kämmerer, Bauherren, Mühlenherren oder Stadtschreiber. Von den 10 Bildern der Gildenprieche wurden 7 von den 7 Gilden unter Nennung der Gildemeister und 3 vermutlich von den Gilden für verdiente verstorbene Ratsherren gestiftet.
Zusammen mit den der Ratsherrenwappen auf den Schlußsteinen und an den Arkadenbögen der Kirche sind die Inschriften an den Emporen eine wichtige Quelle zur Stadtgeschichte, der Ämterverteilung und Hierarchie unter den Ratsherren und zum gesellschaftlichen Selbstverständnis des frühneuzeitlichen Osterwiecks.
Abweichend vom heutigen Zustand war die Kanzel aus dem Jahre 1603 der Emporenfront gegenüber am 1. Südpfeiler angebracht. An den 2. Nordpfeiler wurde sie erst 1773 wegen des Einbaus der von Gustedt’schen Adelsprieche versetzt. Dies machte auch einen begrenzten Umbau der Gildenprieche erforderlich. Ebenso läßt die Empore im südlichen Seitenschiff Zeichen eines Umbaus nach 1617 erkennen.
Literatur:
Thiele, Klaus: Die protestantischen Emporenbilder in der Tradition der Christlichen Kunst, priv. Druck 2003.
Thiele, Klaus, (Hg.): 1200 Jahre Bistum Halberstadt. Osterwieck. Frühe Mission und frühprotestantische Bilderwelten (= Harz-Forschungen 21), Wernigerode/Berlin 2005, dort auf S. 102-185: Hoffmann, Helga: Die Malerei der Osterwiecker Emporenbilder. Thiele, Klaus: Bibelbildliche Traditionsstränge in den Emporenbildern zum Alten und Neuen Testament. Tegtmeier, Christian: Die protestantische Armenbibel an den Osterwiecker Emporen. Schmidt, Frank: Bilder an Emporen als Vorläufer der „Protestantischen Emporenmalerei. Röcklebe, Andreas: Die bauhistorische Untersuchung der Emporen in St. Stephani.
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