Die von Gustedt'sche Prieche

  

 

 

 

  

Agnes Christine v. Alvensleben wurde 1726 als zehntes Kind des Königlich-preußischen Kammerherrn Johann August I. v. Alvensleben (1680–1732) und seiner zweiten Frau Agnese Sophia v. Alvensleben (1695–1749) in Erxleben geboren.

1752 fand die Hochzeit von Agnese Christine mit dem Rittmeister Johann Friedrich v. Gustedt  in Erxleben statt.

Johann Friedrich wurde 1714 als sechstes Kind des Joachim Wilhelm v. Gustedt (1669-1716) und seiner Frau Luise Dorothea Magdalena, geb. v. Veltheim (1676-1731) geboren. Mehrere seiner Geschwister waren früh gestorben, andere blieben ledig oder kinderlos, so dass Johann Friedrich als jüngster Sohn Erb-, Lehn- und Gerichtsherr auf Deersheim war.  

 

 Da Johann Friedrich weiterhin als Königlich-Preußischer Oberstleutnant und Commandeur der Aschersleber Kürassiere diente, ist davon auszugehen, dass das Deersheimer Gut von einem Verwalter in Zusammenarbeit mit Agnese Christine bewirtschaftet wurde. „Frau Obristin“ oder Frau "Obrist Lieutnantin“ wurde Agnese Christine im Familienkreis genannt. Diesen Titel trug sie aufgrund der Stellung ihres Mannes, aber wohl auch wegen ihres selbstbewussten und dominanten Verhaltens.

Wie bei seinem älteren Bruder Joachim Philipp blieb auch die Ehe von Johann Friedrich mit Agnese Christine kinderlos.

1770 starb Johann Friedrich v. Gustedt im Alter von 54 Jahren. Der frühe Tod des Mannes brachte für die Witwe existentielle Veränderungen. In den Akten findet sich der bedeutungsvolle und folgenschwere Satz: „Da alle Ehen der Kinder von Joachim Wilhelm (Vater von Johann Friedrich) kinderlos blieben, ging Deersheim nach dem Tod von Johann Friedrich in den Besitz seines Cousins über.“ Für die Witwe bedeutete dies nach 18 Jahren Ehe den Verweis aus dem Deersheimer Gutshaus und den Verlust eines großen Teils des Familienbesitzes ihres Mannes. Neuer Erbherr zu Deersheim wurde 1770 Rudolph v. Gustedt (1714–1783), Oberappellationsrat in Celle, vermählt mit Anna Rebekka, geb. v. Münchhausen.

Der neue Besitzer drängte darauf, dass die Witwe Agnese Christine baldmöglichst Haus und Hof in Deersheim verlässt. Sie ignorierte die Aufforderung zur Räumung. Der Streit erreichte seinen Höhepunkt, als Agnese Christine in Deersheim weitere bauliche Veränderungen auf Kosten des neuen Besitzers in Auftrag gab.

Rudolph v. Gustedt drohte mit Klage. Im April 1772 drängte Rudolph v. Gustedt erneut auf den Auszug von Agnese Christine und forderte eine Benachrichtigung, „ob es mit dem Abziehen endlich ein Ernst werde, widrigenfalls ich ohnumgänglich zu klagen genötigt bin.“ Zur Klage kam es nicht, denn am fünften Mai 1773 zog Agnese Christine nach Osterwieck. Schon 1752 hatte ihr Mann das Rittergut in Osterwieck am Schulzentor mitsamt der „Halbinsel“ gekauft.

Es kann angenommen werden, dass Agnese Christine in das aus dem 17. Jahrhundert stammende Wohnhaus auf der Halbinsel umgezogen ist. Über dem dortigen Eingang ist noch das Doppelwappen v. Gustedt / v. Alvensleben zu sehen.

 Der Priechenstreit in der Stephanikirche

Mit dem Namen Agnese Christine v. Gustedt ist bis heute vor allem der Priechenstreit in der Stephaniekirche in Osterwieck verbunden.

1773 reichte Agnese Christine die Pläne für den Bau einer Prieche ein. Aus einer Aktennotiz ist zu entnehmen, dass das Bauwerk weder vom Stil, noch von der Größe her in diese Kirche passte.

Es gab Proteste und Einwände der Bürgerschaft. 12 Gildemeister unterzeichneten die „Protestation“ u.a. mit folgenden Beschwerdepunkten: „...dabei gehen soviel Stühle verloren, die wir so hoch nöthig haben“, weiter beklagt wurde, „dass ein großer Teil Menschen des Lichtes dadurch beraubt werden“ und auch, dass der Prediger nicht mehr gesehen werden könne. Trotz dieser begründeten Einwände hat Agnese Christine gegen den Widerstand der Sieben löblichen Gilden und des Rates von Osterwieck 1773 die v. Gustedt`sche Prieche errichten lassen.

Als wohl schlimmster Eingriff erfolgte der Einbau des wertvollen Epitaphs des Ritters Lippold XIII. von Rössing in den Priechenbau. Dadurch war das Denkmal des Ritters, der vermutlich zu den Stiftern des Hauptschiff-Neubaus von 1552-1557 gehörte, über 200 Jahre lang verdeckt und zerteilt.

Der v. Gustedt´sche Priechenbau machte darüber hinaus im 18. Jahrhundert aber noch weitere Umbauarbeiten in der Stephani-Kirche erforderlich. Die Kanzel musste vom ersten Südpfeiler an den zweiten Nordpfeiler des Hauptschiffes verlegt werden. Um trotzdem die Sicht von der Gildenprieche auf die Kanzel zu ermöglichen, wurde die Gildenprieche vermutlich zur Nordempore hin erweitert und die Höhe ihrer Brüstung in Richtung zur Kanzel dadurch vermindert, dass man die dort befindlichen Emporenbilder am unteren Ende um 10cm verkürzte, ein erheblicher Eingriff!

 

Und wieder: Streit um die Prieche

Selbst noch bei der Restaurierung der Stephanikirche in den Jahren 1995/96 machte die v. Gustedt`sche Prieche Probleme. Es kam zum kurzzeitig verfügten Baustop durch das Landesdenkmalamt. Beim Lesen der Berichte über die Restaurierung gewinnt man zeitweise den Eindruck, dass der alte Priechenstreit noch einmal aufbrach. Schließlich ist jedoch - wie jetzt zu sehen - eine „Befriedung" und gute Lösung gelungen. Die Prieche wurde zurück gesetzt und gibt heute den Blick auf den Ritter v. Rössing und auch auf den Kirchenraum frei.

Literatur:  Gustedt, Gisela von: Agnese Christine von Gustedt, geb. von Alvensleben – eine streitbare Dame in Osterwieck, in: Thiele, Klaus, (Hg.): 1200 Jahre Bistum Halberstadt. Osterwieck. Frühe Mission und frühprotestantische Bilderwelten (= Harz-Forschungen 21), Wernigerode/Berlin 2005, S. 219-229.